Im unermüdlichen Einsatz für jedes Kind
Der Preisträger des UNICEF-Fotowettbewerbs 2018 im Interview
Das Siegerbild des Wettbewerbs “UNICEF-Foto des Jahres” stammt in diesem Jahr vom spanischen Fotografen Antonio Aragón Renuncio. Entstanden ist es bei einem seiner Besuche in einem Waisenhaus im Norden Togos – einem kleinen Land in Westafrika.
Bei der Pressekonferenz und Preisverleihung in Berlin konnte ich Antonio persönlich kennenlernen und ihm ein paar Fragen zur Fotografie sowie seinem ganz persönlichen Engagement für die Kinder in Togo stellen.
Lieber Antonio, noch einmal herzlichen Glückwunsch und Gratulation zur Auszeichnung! Du bist seit vielen Jahren Fotojournalist, wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ich bin durch Zufall und aus Neugierde zur Fotografie gekommen. Ich war schon immer sehr wissbegierig und wollte neue Dinge erforschen. Als ich zum ersten Mal eine Kamera in der Hand hatte, war ich wie verzaubert. Nimmt man dann noch meine Leidenschaft für das Reisen hinzu, haben wir eine perfekte Kombination aus dem, was am Ende mein Leben geworden ist.
Die Reportagefotografie ist alles für mich. Es ist mein Leben. Vor vielen Jahren habe ich mich dazu entschieden, den Rucksack zu packen, mich auf den Weg zu machen und nach Geschichten zu suchen, die ich mit meinen Bildern erzählen kann.
Es gibt leider viel Ungerechtigkeit auf der Welt. Wir alle sollten in irgendeiner Form zu einem Wandel beitragen. Zu einem gerechteren Wandel. Jeder sollte dafür nach seinen Möglichkeiten etwas tun, finde ich. Ich mache Fotos, denn darin bin ich gut. Und einige der Fotos aus meiner Reportage können den Kindern helfen, weil wir ihre Geschichte erzählen. Das ist der Grund, warum es diese Reise wert ist.
Wie hat es dich nach Togo verschlagen?
Vor fast 20 Jahren ist eine Gruppe von Ärzten aus meiner Heimatstadt in den Norden Togos gereist. Kurzerhand rief ich sie an und fragte, ob ich an der Expedition teilnehmen könnte. Ohne wirklich zu wissen, wo genau auf der Weltkarte ich mich eigentlich befand, stand ich dann mit meinen Kameras inmitten der Savanne Togos.
Diese Reise hat etwas in mir verändert. All das Leid zu dokumentieren und insbesondere die Arbeit der Ärzte in provisorischen Krankenhäusern zu sehen, war hart. Das alles hat eine neue Art des Fühlens und Sehens und der Begegnung mit dem Leben bei mir ausgelöst.
Und hier sind wir nun. Viele Jahre später. Nach unzähligen Besuchen im Togo, nach einzigartigen und unwiederholbaren Erfahrungen, die ich dort gemacht habe. Wer hätte in jenen Momenten gedacht, dass mich diese Expeditionen nach Deutschland bringen würde und dass die Kinder die wahren Protagonisten sein würden? Das Leben verschwört sich – manchmal auf wunderbare Weise …
Du fotografierst hauptsächlich Kinder mit Behinderungen. Wie kommt das?
Ich war immer schon gegen Ungerechtigkeiten – egal welcher Form. Ich bin eher aufmüpfiger Natur und stelle mich auf die Seite der am meisten Benachteiligten. Wahrscheinlich habe ich deshalb nur wenige Freunde (lacht).
In vielen Ländern Afrikas herrscht Ungerechtigkeit und Chancenlosigkeit. Deshalb hat sich mein ganzes Leben als Fotojournalist darauf konzentriert, jene Realitäten aufzuzeigen, die mir unfair erscheinen.
Ich stelle mir gerne vor, dass einige meiner Fotos fünf Sekunden eines Tages von jemandem stehlen und ihn dazu bringen, bestimmte Dinge für sich selbst oder seine Mitmenschen zu überdenken. Wenn diese Bilder dann noch zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Kinder dienen, bin ich mehr als glücklich.
Ich glaube an kleine Dinge, an Dinge, die nicht wichtig zu sein scheinen und die letztendlich zum Besseren führen. Ich denke, dass die Fotografie, die wir machen, das perfekte Werkzeug dafür ist.
Die Bilder deiner Reportage „Snake Kids“, die UNICEF ausgezeichnet hat, sind in einem Waisenhaus in Togo aufgenommen. Wie bist du auf das Zentrum aufmerksam geworden?
Die Gruppe von Ärzten, die ich so oft auf ihren medizinischen Reisen in diese Region Afrikas begleitet habe, hat mich zu dem "Saint Louis Orione Zentrum" in Bombouaka geführt. Ich habe dort unzählige Stunden verbracht – die Kleinen dort beim Lachen und Weinen gesehen.
Kinder mit Behinderung sind im Togo von der Gesellschaft ausgeschlossen – ja verstoßen. Das ist nicht fair. Nur weil sie auf „der anderen Seite“ geboren wurden, dürfen sie nicht zu Vergessenen oder Aussätzigen werden. Für sie ist eine bessere Zukunft möglich. Ich werde immer wieder zu den Kindern – meinen Kindern – in diesem fremden Land gehen, um ihre Stimme über den Ozean zu tragen.
Du bist Vorsitzender der gemeinnützigen Organisation OASIS. Erzähl uns ein wenig davon.
Nachdem ich lange um die Welt gereist war, um Geschichten zu erzählen, kam ich nach Nicaragua. Aus einem Kurzbesuch wurde ein Langzeitprojekt: Sechs Jahre habe ich dort gelebt. Angefangen hat alles mit einem Bericht über die Kinder eines Waisenhauses in Managua, der Hauptstadt von Nicaragua. Es war einer jener wunderbaren Zufälle des Schicksals …
Hier wurde also OASIS geboren. Wir haben seitdem über die Jahre immer mehr Projekte im Waisenhaus in Managua umgesetzt und nach und nach wurden die Menschen dort wie Freunde und Familie für mich. Dann kamen wir nach Afrika…
Wenn du dort ankommst und deine Augen weit geöffnet sind, erkennst du es von ganz allein: Nur, weil ein Kind auf der „anderen Seite“ geboren wurde, sollte es nicht vergessen werden, leiden oder zu einem anonymen Tod verurteilt werden.
So entstand also das afrikanische Projekt, mit einer kleinen Gruppe von Freunden und Medizinern – die auf der scheinbar „richtigen Seite“ geboren wurden. Wir kümmern uns seitdem um kostenlose medizinische Versorgung, Traumatologie und Chirurgie. Mit OASIS versuchen wir, Hunderten von Patienten eine Chance auf ein besseres Leben zu geben. Und wir gehen weiter – seit nun 15 Jahren sind wir aktiv und suchen nach neuen Wegen, um neue Projekte durchzuführen.
Du bist mehrmals im „Saint Louise Orione Zentrum“ in Togo zu Besuch, wie du sagst. Wann warst du zuletzt dort?
Ich bin erst vorige Woche dort gewesen – also unmittelbar vor meinem Besuch hier in Berlin. Ich habe eine befreundete NGO bei einer medizinischen Gesundheitskampagne begleitet. Hilfe ist genauso wichtig wie Prävention. Deshalb haben wir Schulen im nördlichen Teil Togos besucht und Vorträge gehalten. Wir wollen Kinder, Frauen und lokales Gesundheitspersonal schulen und für wichtige Gesundheitsthemen sensibilisieren.
Natürlich nutzten wir unseren Aufenthalt in der Gegend, um Bombouaka und unser geliebtes Zentrum zu besuchen. Im Januar 2019 werde ich erneut mit OASIS und meinen Mediziner-Freunden zurückkehren und unser Projekt fortsetzen. Das „Saint Louis Orione Zentrum“ ist unsere zweite Heimat in Afrika. Wir nennen es das Paradies der vergessenen Herzen.